Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, führt kein Weg an der Dekarbonisierung des Verkehrs vorbei. Doch der Umstieg vom Verbrenner auf das E-Fahrzeug ist kein Selbstläufer und wirft viele Fragen auf. Antworten darauf hat Roberto Bianchetti, Elektromobilitätsexperte bei INFRAS.
 
  
  
  Wo stehen wir mit der E-Mobilität in der Schweiz aktuell? Im Jahr 2024 war der Automarkt in der Schweiz insgesamt rückläufig, und die Elektromobilität hat diesen Rückgang sogar etwas stärker gespürt. Bei den Neuzulassungen ist der Marktanteil der Steckerfahrzeuge erstmals leicht zurückgegangen, von 30 auf 28 Prozent. Das hat viele Medien gleich zum Abgesang auf die E-Mobilität verführt. Aber wenn man den Blick weitet, sieht man: Weltweit ist der Verkauf von Elektroautos im gleichen Jahr um 25 Prozent gestiegen. Für 2025 zeigt sich eine Trendwende. Die strengeren Emissionsgrenzwerte zwingen die Hersteller, deutlich mehr E-Autos zu verkaufen. Und gleichzeitig kommen in allen Segmenten neue, attraktive Modelle auf den Markt. Ende September 2025 hat der Anteil der Steckerfahrzeuge in der Schweiz mit 38,5 Prozent den bisherigen Rekordwert erreicht. Auf der anderen Seite herrscht aktuell jedoch weiterhin politische Unsicherheit bezüglich einer möglichen Flexibilisierung der CO₂-Zielwerte, und einige Automobilhersteller haben ihre eigenen Elektrifizierungsziele bereits nach unten angepasst, was die Verbreitung von E-Autos in den nächsten Jahren beeinflussen kann.
Welches sind die grössten Herausforderungen und Hürden? Der Ausbau der Ladeinfrastruktur, insbesondere in Mehrparteiengebäuden, hält mit der steigenden Nachfrage oft nicht Schritt. Hinzu kommen regulatorische Hürden und zum Teil auch hartnäckige Vorurteile. Gleichzeitig sind die Autopreise in den letzten Jahren insgesamt um rund 40% gestiegen, wodurch Autos mehr und mehr zu Luxusgütern werden. Für zusätzliche Verunsicherung sorgt die Frage, wie verlässlich das Laden im Ausland – etwa auf Reisen oder in den Ferien – funktioniert.
Du hast die fehlenden oder unzureichenden Lademöglichkeiten angesprochen – das betrifft vor allem jene, die zur Miete wohnen. Was können Mieterinnen und Mieter tun? 
Sie sollten frühzeitig das Gespräch mit der Hausverwaltung suchen und sich über kantonale Förderprogramme informieren. Von politischer Seite gibt es zudem positive Signale: In der Schweiz soll ein «Recht auf Laden» eingeführt werden. Der Ständerat unterstützt die Forderung des Nationalrats, Mieterinnen und Mietern ein Anrecht auf die Installation von Ladestationen zu garantieren. Damit ist der Bundesrat verpflichtet, die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, was den Ausbau der Ladeinfrastruktur an Wohngebäuden vorantreiben dürfte. 
« Wasserstoff wird seit vielen Jahren als Alternative präsentiert – oft unter dem Motto: «In fünf Jahren kommt er.» Schon lange ist klar, dass er bei Personenwagen keine Rolle spielen wird. »
Wann lohnt sich der Umstieg auf ein E-Auto? 
Eine aktuelle INFRAS-Studie kommt zum Schluss, dass bei 90% der Benzin- und Dieselautos auf Schweizer Strassen ein Ersatz durch ein neues, gleich grosses E-Auto aus Klimasicht sinnvoll wäre. Je höher der Verbrauch des aktuellen Verbrenners, je effizienter das neue Elektroauto und je intensiver und länger dessen Nutzung, desto höher die möglichen Einsparungen von Treibhausgasen. Wer viele Kilometer pro Jahr fährt, sollte aus Klimasicht auf ein Elektroauto umsteigen. Und ab etwa 8000 Kilometern pro Jahr lohnt sich der Umstieg fast immer, wenn man von einer durchschnittlichen Fahrzeug-Lebensdauer von 16 Jahren ausgeht. 
Als Alternative zum batteriebetriebenen E-Auto sehen einige das Wasserstoffauto – Mythos oder echte Lösung? 
Wasserstoff wird seit vielen Jahren als Alternative präsentiert – oft unter dem Motto: «In fünf Jahren kommt er.» Schon lange ist klar, dass er bei Personenwagen keine Rolle spielen wird. In den letzten Jahren hat sich zudem gezeigt, dass Wasserstoff auch im Güterverkehr, wenn überhaupt, nur eine Nischenrolle übernehmen kann. Die Verfügbarkeit von grünem H₂ ist weiterhin unklar, und sinnvoller erscheint der Einsatz in Bereichen, die sich schwer elektrifizieren lassen. Zwingend erforderlich ist Wasserstoff in der chemischen Industrie sowie in der Stahlindustrie. Im Luft- und Schiffsverkehr werden e-Fuels benötigt, für die H₂ ein wichtiger Ausgangsstoff ist. 
« Meine Familie hat über drei Generationen eine Garage in Locarno betrieben. Dadurch verstehe ich die Bedürfnisse der Branche und der Autofahrerinnen und -fahrer sehr gut. Gleichzeitig sehe ich als Elektromobilitätsexperte das grosse Ganze und die Notwendigkeit für Veränderung. »
Was interessiert dich persönlich an der E-Mobilität? Warum forschst du dazu? 
Mich interessiert an der E-Mobilität vor allem die grosse Herausforderung, die mit der Dekarbonisierung des Verkehrs verbunden ist. Der Verkehr verursacht in der Schweiz rund ein Drittel der Treibhausgasemissionen und damit gehört seine Transformation zu den zentralen Aufgaben meiner Generation. Spannend finde ich, wie Technik, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik hier zusammenspielen. Es motiviert mich, als Elektromobilitätsexperte bei INFRAS gemeinsam mit unseren Kundinnen und Kunden geeignete Lösungsansätze zu entwickeln und so einen spürbaren Beitrag zur Erreichung der Klimaziele zu leisten.  
Das Auto ist für viele ein emotionales Thema – auch für dich? 
Das Auto ist ein sehr emotionales Thema – in der wohlhabenden Schweiz vielleicht noch stärker als anderswo. Ich kenne beide Seiten: Meine Familie hat über drei Generationen eine Garage in Locarno betrieben. Dadurch verstehe ich die Bedürfnisse der Branche und der Autofahrerinnen und -fahrer sehr gut. Gleichzeitig sehe ich als Elektromobilitätsexperte das grosse Ganze und die Notwendigkeit für Veränderung. Ich habe durch mein ETH-Studium sowie durch meine Berufserfahrungen in der Beratung und beim Bund ein fundiertes konzeptionelles Verständnis des Gesamtsystems, der technischen Aspekte und der politischen Rahmenbedingungen im Bereich Verkehr gewonnen. Dieses breite Verständnis bringe ich in unsere Studien bei INFRAS ein. 
Wo siehst du die E-Mobilität in zehn Jahren? 
In zehn Jahren wird Elektromobilität bei Personenwagen Standard sein. Im Güterverkehr wird sie sich ebenfalls breit etabliert haben. In unserem Forschungsprojekt «Swiss e-Cargo» haben wir die Dekarbonisierung des Güterverkehrs in der Schweiz vertieft untersucht. Unser Fazit: Die Elektrifizierung ist technisch, wirtschaftlich und betrieblich machbar. Für die Unternehmen sind dabei Planungssicherheit und Investitionssicherheit entscheidend.
